«Ich möchte ein Klima, in dem sich alle entfalten können»

Die Schulleitung der ETH stellt beim ETH-Rat Antrag auf Entlassung einer Professorin. Gleichzeitig lanciert sie ein Massnahmenpaket, um die F¨¹hrungs- und Betreuungssituation an der ETH zu verbessern. Im Interview nimmt ETH-Pr?sident Jo?l Mesot Stellung.

Joel Mesot
Der ETH-Pr?sident Jo?l Mesot im Interview (Bild: ETH Z¨¹rich / Gian Marco Castelberg)

ETH-News: Sie haben sich seit Ihrem Amtsantritt im Zusammenhang mit den verschiedenen F?llen von mangelhaftem F¨¹hrungsverhalten kommunikativ zur¨¹ckgehalten. Warum treten Sie ausgerechnet heute zum ersten Mal vor die Medien? (Medienmitteilung)
Jo?l Mesot: Als neuer Pr?sident wollte ich m?glichst schnell alle Bereiche und Themen der ETH kennenlernen. Denn grunds?tzlich m?chte ich nur ¨¹ber Dinge sprechen, die ich auch wirklich verstehe. Daher hatte ich mir vorgenommen, mich w?hrend 100 Tagen ins Amt einzuarbeiten, bevor ich der ?ffentlichkeit meine Eindr¨¹cke und die Stossrichtung, wohin sich die ETH entwickeln soll, pr?sentiere. In den vielen Gespr?chen mit Kolleginnen und Kollegen habe ich nun aber gesp¨¹rt, wie stark sie die negativen Geschichten belasten. Die Schlagzeilen gingen offensichtlich auch an der grossen Mehrheit, die tagt?glich einen hervorragenden Job f¨¹r die ETH machen, nicht spurlos vorbei. Das hat mir vor Augen gef¨¹hrt, dass nicht nur die ?ffentlichkeit, sondern vor allem auch die ETH-Angeh?rigen Antworten von ihrem Pr?sidenten erwarten. Zum heutigen Auftritt habe ich mich nun entschlossen, weil wir einen Entscheid zu kommunizieren hatten, der uns nicht leichtgefallen ist und bei dem wir wussten, dass er weitere Fragen nach sich zieht. Gleichzeitig m?chte ich diese Gelegenheit wahrnehmen, um aufzuzeigen, wie wir uns als ETH im Bereich der F¨¹hrung und der Betreuung von Doktorierenden verbessern wollen.

Beim angesprochenen Entscheid geht es um den Antrag der Schulleitung an den ETH-Rat, eine Professorin zu entlassen. Warum stellt sie diesen Antrag, obwohl die von ihr einberufene Kommission zur ?berpr¨¹fung der Angemessenheit der K¨¹ndigung zum Schluss gekommen ist, dass die Professorin weiter besch?ftigt werden soll?

Lassen Sie mich dazu kurz ausholen. Als die Schulleitung von den Vorf?llen am ehemaligen Institut f¨¹r Astronomie erfuhr, hat sie Sofortmassnahmen umgesetzt und vor anderthalb Jahren eine umfassende Administrativuntersuchung eingeleitet. Diese hat bei der Professorin ein schwerwiegendes pflichtwidriges Verhalten ¨¹ber l?ngere Zeit festgestellt. Der externe Untersuchungsf¨¹hrer hat eine Aufl?sung des Arbeitsverh?ltnisses empfohlen. Die Schulleitung hat darauf entschieden ¨C wie gesetzlich vorgeschrieben ¨C eine Kommission einzuberufen, welche die Angemessenheit der Entlassung ¨¹berpr¨¹fen und mir eine Empfehlung abgeben musste.

Diese Kommission ist nun zu einem anderen Schluss gekommen als die Administrativuntersuchung.
Die Kommission h?lt fest, dass die Vorw¨¹rfe des Untersuchungsberichts gegen¨¹ber der Professorin weitgehend zutreffen und ihr Verhalten angesichts des starken Abh?ngigkeitsverh?ltnisses der Doktorierenden inakzeptabel sei. Zudem unterstreicht die Kommission die Feststellung, dass die Professorin uneinsichtig sei. Sie kommt aber tats?chlich zu einem anderen Schluss: Aus juristischer Sicht sei eine Entlassung eher nicht gerechtfertigt. Die Kommission moniert, dass die Professorin zu sp?t verwarnt worden sei und so keine Chance hatte, ihr Verhalten zu verbessern.

Und diese zweite Chance verdient die Professorin nicht?
Grunds?tzlich bin ich der Meinung, dass jeder Mensch Fehler machen darf und die M?glichkeit erhalten soll, sich zu verbessern. Das h?tte ich mir pers?nlich auch in diesem Fall gew¨¹nscht. Doch die Professorin zeigte sich im ganzen Verfahren vollkommen uneinsichtig und ist sich auch heute noch keines Fehlverhaltens bewusst. Damit war f¨¹r mich die Voraussetzung f¨¹r eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht gegeben.

Diese Kommission bestand aus Professorinnen und Professoren der ETH und anderer Hochschulen. Z?hlt f¨¹r Sie die Einsch?tzung der Professorenschaft in dieser Sache weniger als jene eines externen Untersuchungsf¨¹hrers?
Selbstverst?ndlich hat die Meinung der Kommission bei mir ein sehr hohes Gewicht. Ich kann deren Argumentation nachvollziehen, komme aber am Ende trotzdem zu einem anderen Schluss. Die Betreuung von Doktorierenden geh?rt zu den zentralen Aufgaben unserer Professorinnen und Professoren. Wenn die Kommission nun empfiehlt, die Professorin f¨¹r mindestens zwei Jahre von dieser Aufgabe zu entbinden, dann kann die Betroffene einen wesentlichen Teil ihrer Funktion nicht mehr erf¨¹llen. F¨¹r mich ist die Empfehlung der Professorenkommission deshalb in der Realit?t nicht umsetzbar. So hat sich die Schulleitung zum Entscheid durchgerungen, dem ETH-Rat die Entlassung der Professorin zu beantragen. Doch glauben Sie mir, der Entscheid schmerzt. Denn die ETH hat auch Fehler gemacht. Ich w¨¹nschte, wir h?tten fr¨¹her reagiert, das Gespr?ch mit der Professorin schon vor Jahren gesucht, ihr Unterst¨¹tzungsmassnahmen angeboten und rechtzeitig und fr¨¹h eine Ermahnung ausgesprochen.

In einem anderen Fall, bei dem einem Architekturprofessor sexuelle Bel?stigung vorgeworfen wurde, kam die ETH zu einem anderen Schluss und verzichtete auf ein Entlassungsverfahren. Warum diese unterschiedlichen Beurteilungen?
Die beiden F?lle sind nicht vergleichbar. Es stimmt auch nicht, dass die ETH auf personalrechtliche Schritte verzichtet h?tte. Wobei ein Entlassungsverfahren hier nach den Resultaten der Untersuchung nicht in Frage gekommen w?re. Vielmehr kam der Professor allf?lligen Massnahmen der ETH zuvor. Er reichte nach der Disziplinaruntersuchung den R¨¹cktritt ein. Aus meiner Sicht hat der Professor mit dem Verstoss gegen den Compliance Guide ein Verhalten an den Tag gelegt, das f¨¹r mich nicht akzeptabel ist und das ich nicht toleriert h?tte. Ich m?chte an der ETH Z¨¹rich ein Klima, in dem sich alle entfalten und ihr Potenzial aussch?pfen k?nnen. Bel?stigungen und Respektlosigkeiten aller Art haben da keinen Platz.

Also m¨¹ssen Lehren gezogen werden. Was l?uft falsch an der ETH?
In den letzten Monaten wurden noch weitere F?lle von respektlosem Verhalten oder ungen¨¹gender Betreuung publik. In jedem dieser F?lle ist offensichtlich etwas falsch gelaufen. Zun?chst nat¨¹rlich das Fehlverhalten an sich. Dann aber auch, dass die ETH als Institution bisweilen nicht rasch genug gehandelt oder betroffene Mitarbeitende, auf beiden Seiten, nicht schnell genug gesch¨¹tzt hat. Das tut mir f¨¹r die Betroffenen sehr leid, und daf¨¹r m?chte ich mich im Namen der ETH bei allen entschuldigen. Generell sehe ich zwei Handlungsfelder, um solche F?lle k¨¹nftig zu vermeiden oder zumindest den Schaden zu mindern, den ein Fehlverhalten anrichtet: Zum einen muss das Thema F¨¹hrung an der ETH ein h?heres Gewicht erhalten. Wir m¨¹ssen Konflikte schneller und direkter erkennen, angehen und l?sen. Zum anderen m¨¹ssen wir unsere Prozesse anpassen, wie wir mit Meldungen von Betroffenen umgehen.

Und was heisst das konkret?
Bezogen auf die F¨¹hrung werden wir beispielsweise bereits bei Berufungen den F¨¹hrungs- und Sozialkompetenzen von Kandidatinnen und Kandidaten viel mehr Gewicht beimessen, und das Angebot an F¨¹hrungskursen und Coaching wird ausgebaut. Ich denke aber auch an all die Massnahmen, die von der Rektorin in Angriff genommen werden, um die Betreuung von Doktorierenden zu verbessern.

K?nnen Sie das erl?utern?
Heute werden Doktorierende an der ETH in der Regel von der gleichen Person betreut, die sie auch beurteilt. Diese Struktur kann zu einer zu grossen Abh?ngigkeit f¨¹hren. K¨¹nftig wollen wir allen Studierenden, die ihr Doktorat an der ETH aufnehmen, neben der Dissertationsleiterin bzw. dem Dissertationsleiter mindestens eine weitere Betreuungsperson zur Seite stellen. Diese L?sung hat sich bereits in verschiedenen Ó¢»ÊÓéÀÖn bew?hrt. Denn der Einbezug weiterer Personen stellt sicher, dass ein allf?lliger Konflikt zwischen Hauptbetreuer und Doktorierendem rasch geschlichtet werden kann. Ich bin generell davon ¨¹berzeugt, dass sich zudem viele Konflikte verhindern lassen, wenn von Anfang an mehr Klarheit ¨¹ber die gegenseitigen Erwartungen herrscht. Dieses Erwartungsmanagement ist auch eine F¨¹hrungsaufgabe.

Und wie sehen die Massnahmen beim Umgang mit Meldenden aus?
Bis im Sommer 2019 wird der Umgang mit Meldungen und Beschwerden neu geregelt und beschleunigt. Ziel ist es, dass Meldungen umgehend behandelt und wenn m?glich innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen werden. Gleichzeitig werden wir das Case Management schrittweise zu einem Team ausbauen. Es soll daf¨¹r sorgen, dass die richtigen Stellen involviert und die Beteiligten regelm?ssig ¨¹ber den aktuellen Stand informiert werden. Unsere Anlaufstellen sollen m?glichst fr¨¹hzeitig L?sungen finden, die f¨¹r alle Betroffenen eine Verbesserung der Situation bringen und eine weitere Eskalation des Konflikts verhindern.

Spitzenforschung setzt grosse Freiheiten f¨¹r Forschende voraus und bringt hohen Leistungsdruck mit sich. Besteht jetzt nicht die Gefahr, dass die ETH mit den geschilderten Massnahmen ¨¹bers Ziel hinausschiesst und diese Freiheiten sowie das Leistungsdenken zu stark einschr?nkt?
Unsere Massnahmen zielen in keiner Art und Weise darauf ab, Forschungsfreiheiten einzuschr?nken. Die Forschungsfreiheiten, die unsere Forschenden geniessen, sind der zentrale Erfolgsfaktor der ETH. Und unsere Forschenden wissen mit diesen Freiheiten sehr verantwortungsvoll umzugehen. Denn wir d¨¹rfen bei allem ?ffentlichen Interesse an den F?llen nicht vergessen: Die ¨¹berwiegende Mehrheit unserer Professorinnen und Professoren leistet Ausserordentliches, damit sich Talente an der ETH entfalten k?nnen. Auch das Leistungsdenken stelle ich nicht in Frage. Ein Doktorat an einer der zehn besten Hochschulen der Welt erfordert H?chstleistung. Und es geh?rt zur Aufgabe unserer Professorinnen und Professoren, die Leistung einzufordern. Diese Leistungsorientierung wollen wir auch in Zukunft sicherstellen. Aber dies muss in einer fairen und respektvollen Art und Weise geschehen. Ich erwarte Fairplay von allen.

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